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Dienstag, 12. Mai 2020

Das Mädchen aus Glas - Julie Hilgenberg

(Rezensionsexemplar) 

Elisas Knochen brechen vielleicht leicht, doch sie tut es nicht. 

Eine Liebesgeschichte, zart und wundervoll, und ein historischer Rahmen, grausam und unnachgiebig. Diese Komponenten verliehen dem Werk so ergreifende Kontraste, dass es kein schwarz und weiß mehr gab. 

Berlin, 1913. Elisa leidet unter der seltenen und wenig erforschten Glasknochenkrankheit, weshalb sie ihr wohlbehütetes Zuhause kaum verlässt. Louis ist ein Draufgänger und liebt das Risiko. Die von den Eltern vereinbarte Eheschließung erscheint ihnen zunächst wie eine Bestrafung – zumal Elisa in ihren Arzt Wilhelm verliebt ist. Doch während der Erste Weltkrieg heraufzieht, kommen Elisa und Louis sich näher. Als die beiden Männer an die Front müssen, zeigt sich, wie stark Elisa wirklich ist – und sie erfährt, was es bedeutet, wahrhaftig zu lieben.

Da ich nur sehr selten Romane dieser Art lese, habe ich nicht wirklich viele Erwartungen an dieses Buch gestellt. Ich wusste, dass es sich um eine Liebesgeschichte handeln würde, was mich bereits vor Beginn des Leseprozesses vor eine Herausforderung stellte, da mich die meisten Liebesgeschichten leider nicht begeistern können, aufgrund der Vorausschaubarkeit. Doch hoffte ich, einen Einblick in die Zeit um den ersten Weltkrieg zu erhalten und etwas mehr über die Glasknochenkrankheit zu erfahren. Und was soll ich sagen: Ich bekam alles, und noch viel mehr.
Dies lag zu einem nicht gerade kleinen Teil an der unglaublich beindruckenden Protagonistin Elisa, welche ich einmal aus zwei Perspektiven beleuchten möchte: der fiktiven Person und dem Handwerk. Ich brauche, nicht viele Worte darüber verlieren, wie toll ich ihre Entwicklung, ihren Charakter und ihre Sinneswandlungen fand, denn das lässt sich schnell hervorheben. Doch das schreiberische Geschick, was hinter einer solchen Protagonistin steht, kann ich mir kaum ausmalen. Natürlich war die Liebesgeschichte etwas vorhersehbar, aber so sind sie nun mal leider immer. Was mich hierbei jedoch so erstaunt hat, war, wie unfassbar realistisch sie sich entwickelte. Es gab keine plötzlichen Sinneswandel oder Charaktersprünge, die einfach aus dem Nichts auftauchten. Ich hatte permanent das Gefühl, dass alles in der Geschichte genau so kommen musste, und die Protagonisten auch nie zu viel Glück hatten.
Neben Elisa gefielen mir auch die anderen Figuren wirklich gut, jeder auf seine Weise und wie sie ihren Platz in dem Buch gefunden haben. Alle hatten eine solche Tiefe und Dreidimensionalität, dass niemand wirklich wie ein Nebendarsteller wirkte. Ich hatte das Gefühl, als hätte sich Hilgenberg nicht nur mit Elisa, sondern auch mit jedem anderen Charakter sehr viel Mühe gegeben, einen wirklichen Menschen zu erschaffen, was ihr auch unbestreitlich gelungen ist.
Als ebenfalls sehr positiv kann ich die Beschreibung des historischen Kontextes bewerten. Die Gefühle, welche zu jener Zeit herrschten, wurden extrem gut dargelegt und auch die Auswirkungen, sowie Entwicklungen der politischen Entscheidungen fanden einen rahmenden Platz in der Handlung. Gerade hier wirkt das Werk sehr ausgearbeitet, der Leser wurde nie mit zu vielen inhaltlichen Punkten der damaligen Begebenheiten gelangweilt, sondern durch die Protagonisten ganz selbstverständlich an die Zeit herangeführt, wodurch jener einen entsprechenden Eindruck der Lage bekam.
Es gibt nur zwei kleine Punkte, welche mich im kompletten Buch störten, und diese sind auch kaum bedeutend, aber ich wollte sie trotzdem anbringen, da ihr Fehlen ''die Kirsche auf dem Kuchen'' gewesen wäre: Zum einen fand ich es etwas schade, dass viele Situationen und Ereignisse nur angeschnitten wurden. Die Kapitel endeten für meinen Geschmack meist etwas zu früh, so hätte ich  zum Beispiel gerne noch etwas länger den Ball verfolgt, oder wäre in sehr emotionalen Momenten noch etwas länger bei den Charakteren verweilt, doch das Ende des Abschnittes kam meist grob daher und ließ wenig Spielraum für Träumereien. Auf der einen Seite ist es ja gut, dass die Autorin wirklich kein Wort zu viel verliert, so wird es wenigstens nicht langweilig, aber wenn die Protagonistin damit wirbt, dass sie bei Louis etwas ausprobieren möchte, was sie so noch nie tat, würde ich schon gerne wissen, woran sie dachte und wie er darauf reagierte. Ich sehe den Punkt, dass dieses stilistische Mittel das Kopfkino anregen soll, aber das hätte bei einigen exemplarischen Kapitelenden gereicht, ab und zu hätte der Leser auch mitgenommen werden können - weiter in den Ball hinein, näher zu den Liebenden und tiefer in die Fabrik.
Des Weiteren passte das Ende für mich nicht in den realistischen Stil des Werkes. Hier wird auf einmal mit einer romantisierten Sicht auf die Welt gearbeitet, mit mehr Glück und Zufällen, als es einem normalen Menschen in seinem ganzen Leben zusteht, und vor allem einer Menge Kitsch. Für mich passte das einfach nicht, was nicht daran liegt, dass ich keine Happy Ends mag, sondern daran, dass ich es für unrealistisch halte, wenn auf den letzten zwanzig Seiten alles auf ein Drama zudriftet und dann ganz plötzlich das Lenkrad in Richtung des perfekten Glücks gerissen wird. Das empfinde ich auch nicht als spannend, sondern als unüberlegte Schreibentscheidung und als Wahl auf ein gekünsteltes Ende. Von mir aus hätte alles genauso enden können, wie es das tat, aber die vorherigen Seiten hätten anders konstruiert sein müssen, damit es glaubwürdig klingt. Weniger Drama und mehr logische Ereignisse wären hier der Schlüssel gewesen, was besonders traurig ist, da ich weiß, dass die Autorin das definitiv gekonnt hätte! Aber ich denke, dass sich gerade hier die Geister scheiden, und das Ende eines Buches nie alle zufriedenstellen kann.
Deshalb ziehe ich auch nur insgesamt 1,5 Punkt ab, da mir das Werk wirklich ausgesprochen gut gefiel und ich es definitiv weiterempfehlen würde.


8,5/10 Glasknochen


Allgemeines zum Buch:
Erscheinungsdatum : 11.05.2020
Preis                        : 10,99€
Seitenzahl                : 512  

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